Nächtliche Szenen durchziehen die Arbeiten von Nanako Shikata, die mit Kohle,Tusche,Gouache und Pastellfarben arbeitet. Einerseits bildet sie urbane Landschaften ab, die sich nicht spezifisch geografisch verorten lassen, anderseits finden sich auf ihren Bildern Momentaufnahmen aus dem Schwarzwald. Die bis in den Horizont reichenden Landschaften in ihren Bildern erzeugen eine stimmungsvolle und manchmal magische, geheimnisvolle Atmosphäre.
Einige Landschaften sind wie im Vorbeifahren eingefangen. Es sind kurze Momentaufnahmen in Bewegung, wie aus dem Zugfenster oder durch die Windschutzscheibe beobachtet, und manchmal nur durch ein Scheinwerferlicht beleuchtet, schälen sie sich aus der Dunkelheit.
Oftmals sind es nächtliche Szenen in der Natur, in die einzelne Elemente der Zivilisation hineinbrechen. Mal ist es eine S-Bahn, die im nächtlichen Unwetter durch den Wald fährt, mal ein Strommast, dessen Gerüst und Drähte die Landschaft teilen.
Die aus Japan stammende Künstlerin Nanako Shikata ist in der Millionenmetropole Tokio aufgewachsen, mit der wir Fortschritt, Urbanität, Menschenmassen und Anonymität verbinden. In Shikatas Arbeiten werden Natur und Zivilisation miteinander konfrontiert und durchdringen sich gegenseitig.
In ihren geheimnisvolle Zeichnungen hinterfragt die Künstlerin menschliche Perspektiven. Die mit zarten Pastellfarben, Kohle, Gouache und / oder Tusche auf Papier angefertigten Bildnisse handeln von der Ambivalenz zwischen Verbundenheit und Verschiedenheit.
Strommasten reichen einander die Hand, Scheinwerfer lassen auf dunklen Straßen die gemeinsamen Ziele vermuten, schemenhafte Gestalten stehen gruppiert in offenen, auf ihre Grundmerkmale reduzierten Landschaften. Immer schwingt bei der in Japan und Deutschland ausgebildeten Künstlerin die Konfrontation mit dem Fremden mit, die sich in einer scharfen Beobachtungsgabe für scheinbare Selbstverständlichkeiten manifestiert.
Fördervein der Schwerpunkt Galerie e.V.
SUMORINGER
Gefühle des Dazugehörens und des Nichtdazugehörens haben Nanako Shikata seit ihrer frühen Kindheit in Japan geprägt. Diese führten sie letztlich zu ihrer künstlerischen Tätigkeit in Europa und somit dazu, die Kultur ihrer Heimat aus der Distanz betrachten zu können.
Japan und seine Bewohner sieht sie mit kritischem wie liebevollem Blick und versucht, Verbundenheit und Hoffnung im anstrengenden Leben ihrer Landsleute auszumachen.
Shikatas Sumoringer verkörpern den Geist japanischer Kunst auf besondere Weise, indem sie genauso viel über die Künstlerin und das Material aussagen wie über den Gegenstand des Kunstwerks selbst.
Als junges Mädchen verfolgte Shikata oft mit ihrer Familie die Sumo-Ringkämpfe im Fernsehen. Doch erst aus der Ferne vermag sie in den Ringern mehr zu erkennen als sportliche Entertainer. Die Skulpturen tragen ihrer würdevollen wie tragischen Existenz Rechnung.
Nanako Shikatas Sumoringer sind keine Abbilder, sondern kondensieren und verdichten deren Substanz. Durch die Überlagerung entsteht etwas Neues und Lebendiges.
Jeder Sumotori ist aus einem Stamm gehauen; die Linien, Risse und Texturen der verschiedenen Holzarten scheinen zu atmen und zu arbeiten. Ihre raumfüllende Präsenz drängt den Betrachter in die Interaktion. Die Risse führen in ihr Innenleben, das einen Frieden und eine Ernsthaftigkeit ausstrahlt, nach denen wir uns in unseren unsicheren Zeiten sehnen.
Der Sumo-Ring ist ein heiliger Ort. Es ist der Altar, auf dem die Ringer ihre Kraft darbieten und vor den Göttern konkurrieren. Einst soll ein Sumokampf zwischen Göttern über das Schicksal Japans entschieden haben. Wie diese Götter aus der Frühzeit prallen beim Sumo Körper aufeinander und lassen der puren Kraft freien Lauf. Herz, Körper und Technik müssen dabei zu einer Einheit geschmiedet werden. Da Sumoringer so eng mit der Tradition verbunden sind, dient ihr vorbildliches Verhalten zur moralischen Orientierung. Es wird erwartet, dass sie sich permanent verbessern und zu Frieden und Wohlstand der Gesellschaft beitragen.
Auf das Ergebnis des schnellen, unbarmherzigen Kampfes haben diese körperlichen und moralischen Anstrengungen jedoch oft wenig Einfluss. Im Ring überwiegen die Emotionen des Wettkampfs und oft entscheiden Timing und Glück darüber, wer gewinnt. Die Erhabenheit, nach der der Sumoringer strebt, bleibt dabei auf der Strecke.
Auch in unserem Alltag finden wir uns in ähnlich dramatischen Situationen wieder, die mit unvorhersehbaren und manchmal bitteren Resultaten enden. Es ist nicht einfach, in einer unbeständigen Welt voller Unsicherheiten, Konflikte und Niederlagen nicht zu verzweifeln und mit Wut, Enttäuschung oder Mitleid umzugehen.
Vielleicht kann uns die beharrliche Schwere und Würde der Sumoringer als Inspiration dienen, um unsere innere Ruhe wiederzufinden und dem eigenen Weg zu folgen.
Nanako Shikatas Skulpturen scheinen dem Betrachter ebendiese lebendige, zuversichtliche Ruhe zu vermitteln.
Sascha Lück